Die Straßen Kambodschas: Viele der älteren
Frauen sind Witwen, haben rasierte Köpfe und arbeiten in Tempeln
mit, manchmal auch um ihren Familien finanziell nicht zur Last zu
fallen.
Was auch auffällt: Wie schon in Indonesien tragen hier viele Frauen
Pyjamas (oder das was in Europa als solche verkauft werden) als
Alltagskleidung, bunt gemusterte, leichte Stoffe. Kambodscha ist das
Hängematten- Land schlechthin. Überall hängen Hängematten auf
Märkten, in Läden in Mopedanhängern, sodass die Besitzer immer
wenn notwendig ein Schläfchen machen können.
Wir fahren weiter Richtung Nordosten des Landes, über 300 km durch
das Hinterland. Die Menschen leben hier in einfachsten aus Brettern
zusammen gebauten Hütten. Viele der Hütten sind neu, die Bewohner
meistens junge Familien, wahrscheinlich Betroffene von Landgrabbing,
die sich hier eine neue Bleibe in der Gegend aufbauen, die nur
langsam von Minen geräumt wird.
Es gibt keine Anbindung ans Stromnetz, hin und wieder sehen wir eine
Solarplatte auf dem Dach, abends gehen die Dieselgeneratoren für ein
paar Stunden an. Gekocht wird auf offenem Feuer. Regenwasser wird in
großen Tonbehältern aufgefangen. Hin und wieder gibt es Brunnen
wahlweise von Worldvision, Australian Aid, Japanese Aid oder wem auch
immer finanziert. Überall Kinder, die, sobald sie uns sehen,
brüllen: „Hello“, „Bye-bye“, „Hi“. Wir kommen aus dem
Winken gar nicht mehr heraus. Lebensmittel gibt es kaum zu kaufen,
dafür Handys.
Manchmal fahren wir morgens zusammen mit einigen Kindern in die
wenigen sichtbaren Schulen (auch primär NGO-finanziert), generell
scheinen hier nicht besonders viele Kinder in die Schule zu gehen.
Wir diskutieren, ob das jetzt einfach nur scheiße-bitterarm ist oder
die (wahrscheinlich notwendige) Lebensweise der Zukunft? Diese
Menschen balancieren quasi die massive westliche CO2-Produkten und
Überkonsum aus. Die einfachen Holzhütten verbrauchen wenig
Ressourcen, schützen vor Regen und Sonne und heizen sich nicht so
auf wie Steingebäude, die dann wieder aufwändig mit Ventilatoren
und Klimanlagen runtergekühlt werden müssen. Das Klima ist hier
ganzjährig so warm, dass keine Heizung oder Isolierung notwendig
ist. Unabhängigkeit von Strom- und Gasversorgern. Matratzen würden
wahrscheinlich im feucht-heißen Klima verschimmeln, deswegen halten
Hängematten und Bastmatten als Schlafgelegenheiten her. Kühlschränke
gibt es keine: Erstens essen die Menschen keine Milchprodukte, Gemüse
wird direkt nach der Ernte verbraucht, Fleisch und Fisch direkt
verzehrt oder in der Sonne abgehangen und getrocknet. Bequem ist das
nicht und das Leben der Wahl wahrscheinlich auch nicht. Auch eine
Müllabfuhr wäre toll und bessere Wasserressourcen, wenn zu wenig
Regen fällt. Bitterarm ist die mangelnde Gesundheitsversorgung und
die Bildungssituation für Kinder.
Womit wir bei der massiven NGO-Präsenz wären: Ein Schulgebäude
lässt sich recht einfach bauen, dafür lassen sich gut Spenden
sammeln, wenn das Gebäude steht, sehen alle, was man erreicht hat.
You can put your name on it. Nur: ein Schulgebäude unterrichtet
nicht, Lehrer unterrichten. Von denen gibt es zu wenig und
insbesondere nicht im ländlichen Raum...
In Kambodscha ist die Zahl der „Waisenheime“ in den letzten
Jahren stark gestiegen. Doch nur ein Bruchteil der in den
Waisenheimen lebenden Kinder sind tatsächlich Waise.
Waisenheimbetreiber „werben“ benachteiligte Kinder aus den oben
beschriebenen armen Dörfern an, Kinder mit Behinderungen oder aus
besonders armen Familien, bieten den Eltern an, die Kinder
mitzunehmen, sie zu versorgen und ihnen Schulbildung mit Zukunft
zukommen zu lassen.
Waisenheime sind zu einer Touristenattraktion geworden. Wohlmeinende,
sozial interessierte Touristen, sich schuldig fühlend ob des eigenen
Reichtums, wollen sich Waisenheime anschauen, einen Tag mit den
Kindern verbringen (to put a smile on their faces) und lassen Spenden
da, die das ganze zu einem lukrativem Geschäft machen. Oder gründen
aus lauter Mitleid gleich selbst ein Waisenheim. Für junge
Absolventen im gap-year wird die mehrwöchige Mithilfe in einem
Kinderheim (der von den Freiwiligen auch teuer bezahlt wird) zum
sozialen Kompetenzpunkt im Lebenslauf, tolle facebookbilder
inklusive. Der häufige Wechsel von Freiwilligen, die meistens kein
Khmer sprechen, lässt Kinder mit Bindungsstörungen zurück. Es gibt
Berichte, dass Touristen gegen Entgelt ohne jegliche Aufsicht durch
Betreuungspersonen einen Nachmittag mit Kindern in Heimen verbringen
dürfen, das ist natürlich auch eine ideale Gelegenheit für
sexuelle Übergriffe.
Das Ganze hat so überhand genommen, dass die Regierung angefangen
hat mehr und mehr komplett illegale Kinderheime zu schließen und
bestehende zu zertifizieren. Es gibt Kampagnen die Touristen darauf
aufmerksam machen wollen: „Children
are no Tourist attractions“ und Kampagnen
gegen gut gemeinte, aber im Ergebnis schädliche Freiwilligenarbeit.
Wir schauen uns das Cambodian Landmine Museum an, zu dem auch ein
Kinderheim gehört, dass unter anderem von den Eintrittsgeldern
betrieben wird. Hier dürfen die Kinder von Touristen nicht besucht
werden, freiwillige Helfer müssen sich für einen Mindestzeitraum
von mehreren Monaten verpflichten und ein polizeiliches
Führungszeugnis vorlegen. Ein positives Beispeil mit trotzdem
schalen Beigeschmack. Im Museum kann mensch die Geschichten der
Kinder lesen. Viele der Geschichten enden damit, dass die Kinder froh
sind, in dem Heim sein zu können weil sie viel lernen können und
genug zu essen haben. Sie beschreiben aber auch, wie verletzt sie
waren, weil ihre Eltern sie weggegeben haben und dass sie sich
schuldig fühlen, weil sie viel zu essen haben und wissen, dass es
ihren Geschwistern nicht so geht. Das ist ganz schön viel
emotionaler Ballast für ein Kind. Und langsam setzt sich die
Einsicht durch, dass Heime nur eine letzte Möglichkeit sein können
für Kinder, die tatsächlich nicht bei ihren Familien bleiben
können. Dass stattdessen der Ausbau der Bildungsinfrastruktur und
Lebensmittelversorgung in ganzen Regionen und Dörfern das Ziel sein
muss. Nur ist das eben nicht so „konkret“ und direkt und deswegen
lassen sich dafür schwieriger Spenden sammeln...
Wir lernen außerdem eine weitere weitere Möglichkeit kennen, wie Jungen im
ländlichen Raum der (Bildungs-)Armut entkommen. Abends suchen wir
wieder nach einem Platz zum Zelten und da es sich auf Reisfeldern und
potentiell verminten Gelände so schlecht zelten lässt, fragen wir
wieder bei einem kleinen Tempel an, ob wir auf dem Gelände unser
Zelt aufschlagen dürfen. Wir werden herzlich eingeladen und sind
kurz darauf von vielen kleinen Jungen in Safranroben umringt, die uns
neugierig anschauen. Es gibt keine großen goldenen Statuen wie in
Thailand und auch nur ein richtiges Gebäude, in dem wir unsere
Isomatten auslegen dürfen und mit vielen Menschen unter einem Dach
schlafen. Wir bekommen sogar etwas zu essen angeboten (lassen
natürlich eine Spende da) und sind ganz baff, dass tatsächlich der
Großteil der Mönche/Novizen hier kleine Jungs sind. Abends gibt es
dann noch etwas Schulunterricht. Ein
junger Mönch auf Zeit zu sein, bedeutet in Kambodscha insbesondere
den Zugang zu weiterführender (auch spiritueller) Bildung zu
erhalten. Gleichzeitig bedeutet Mönch sein auch materielle Armut
zu wählen, die im ländlichen Raum trotzdem mehr materielle
Versorgungssicherheit bedeutet kann, da z.B. die Mahlzeiten durch
Almosen sicher gestellt werden. Mönch zu sein ist nicht immer eine
Verpflichtung auf Lebenszeit, sondern oft nur ein Lebensabschnitt der
einige Jahre dauert. Mädchen allerdings können in Kambodscha von dieser
Möglichkeit nicht profitieren.
Ergebnisse eines kleinen Töpferkurses in Siem Reap |
zum Sonnenaufgang fahren wir los |
fast schon luxuriöse Holzhütte |
Morgens Richtung Stung Treng |
Kinder auf dem Weg zur Schule |
endlich am Mekong |
Straße Richtung Grenze zu Laos |