Wir fahren nach Assam in die Tiefebene, die Temperaturen steigen, die
Luftverschmutzung auch. Der Verkehr ist erstaunlich wenig, am besten
ist es, an Tagen Rad zu fahren, an denen politische Streiks statt
finden, das bedeutet dann auch, dass keine LKWs unterwegs sind. Wir
fahren durch Tigerschutz- Wälder und den autonomen Karbi-Anglong-
Distrikt, der selbstverständlich auch für die Unabhängigkeit
zumindest von Assam kämpft (falls wir da richtig durchgeblickt
haben). Idyllische aber arme kleine Dörfer, Höfe aus mehren
Bambus-Lehm-Häusern inklusive den schönsten Heuhaufen. Auch hier
fragen wir wieder bei einer Kirche nur ob wir campen dürfen und
werden genötigt, im Haus des Dorfchefs zu übernachten, bekommen
Abendessen und Frühstück und dann auch noch traditionelle
Karbischals geschenkt. Wenigstens dürfen wir eine Spende für den
Kirchenneubau da lassen. Für uns sind diese Erlebnisse sehr wertvoll
und besonders und gleichzeitig oft etwas beschämend. Wir wollten ja
nur Rad fahren und kommen aus einem reichen Land und wollten reisen
und Menschen kennen lernen, und die Menschen hier sind so begeistert
uns zu sehen, dabei haben wir ja gar nichts gemacht: „ I always
think how it would be if foreigner come to our village und now you
came here and its like a dream come true.“
Es gibt Tage, da müssen wir mit circa 100 Leuten selfies machen.
In Guwahati dürfen wir wieder die Gastfreundschaft einer
Sikh-Familie erleben, ein Teil der Familie arbeitet als Anwälte für
Betroffene häuslicher Gewalt, so haben wir viele interessante
Gesprächsthemen. Außerdem dürfen uns im neu eröffneten Restaurant
als Testesser betätigen, ein äußerst angenehmer Nebenjob, bisher
haben wir uns ja primär als Testesser von Samosas betätigt.
Wir machen gemeinsam einen Ausflug in den Staat Meghalaya- dem Land
der Wolken. Ein Hochplateau nördlich von Bangladesh an dem sich die
feuchte Luft abregnet, um weiter aufsteigen zu können. An den Hängen
des Hochplateus sind kleine Dörfer durch ewig scheinende Treppen
miteinander verbunden und Drahthängebrücken über den massiven
Flussbetten die in der Monsoonzeit zu reißenden Strömen
anschwellen. Über manchen Flussbetten haben die Dorbewohner der
Khasi seit Generationen lebende Brücken kultiviert. Starke Bäume,
deren Luftwurzeln über die Jahre so miteinander verflochten worden
und verwachsen sind, dass sie haltbare Brücken bilden, die
Hochwasser standhalten und so die wichtigen Wege zwischen den Dörfer
aufrecht erhalten. Eine unwirkliche und wunderschöne Welt ohne Müll
und mit klarer Sicht, in der wir zwei Tage lang umherwandern.
Entlang des Brahmaputras geht es dann weiter entlang Richtung
„Zentral-Indien“. Die Sicht ist durch das Wetter und Staub und
Smog oder was auch immer so schlecht, dass die Sonne oft wie der Mond
aussehend hinter dichtem Grau verschwindet, die Augen tränen, der
Hals kratzt. Zwei Tage fahren wir gemeinsam mit einem Dänen Rad. Die
männliche Präsenz auf den Straßen wird immer stärker, oft werden
wir, wenn wir kurz halten, direkt von vielen Männern und Jungs
umringt, die uns einfach oft nur anstarren, oder ohne zu fragen
fotografieren und es gar nicht glauben können, dass wir kein Hindi
sprechen. Das ist dann doch eher unangenehm. Dann sagt die Polizei
„Keep in moving you are causing traffic jam“. Wir ziehen uns dann
abends in günstige Gasthäuser zurück und sind froh unser Abend
essen auf dem Campingkocher kochen zu können und nicht mehr hinaus
in den „Wahnsinn“ zu müssen.
Und dann aber gleich wieder Begegnungen mit ein paar super höflichen
jungen Männern, die uns zu Tee und Gebäck zu sich einladen, die
Freunde zusammen trommeln. Dann gibt es zwei Stunden intensiven
Austausch angefangen von Klima in Deutschland über Bildungssystem,
Recycling, Zika-Virus, arrangierte Ehen etc. „Today I am very
happy, I never think that one day foreigner will come to my house and
now you are here.“
Abends dann sind wir eingeladen bei einem jungen
muslimisch-hinduistischen Paar, dass mit einer bollywoodesken
Liebesgeschichte aufwartet. Ja, hier gibt es viele Gruppen und
Religionen, die zusammen leben, aber diese Linien der Zugehörigkeiten
z.B. durch eine Heirat zu überschreiten ist dann doch oft eine Sache
die viel Mut erfordert. Wir bekommen erklärt, wie einer NGO
Toiletten in Privathäusern baut (immer noch eine der größeren
infrastrukturellen und gesundheitlichen Herausforderungen in Indien)
. Die Baukosten werden nach dem Hochladen der Baufotos samt neuen
Eigentümer mittels einer Smartphone-App von der Regierung erstattet.
Und dann überqueren wir die Grenze nach Westbengalen, die vorher
4-spurige Straße wird zu 1,5 Spuren. Nicht mal mehr zwei LKWs passen
nebeneinander ohne abzubremsen oder auszuweichen und die Busfahrer
rasen wie die wilden, kurz die letzten Tage vor Siliguri sind alles
andere als angenehm zu fahren. In Siliguri erleben wir dann auch zum
ersten Mal das „Indien“ was uns aus den Medien bekannt ist:
enorme ökonomische Ungleichheit, Straßenkinder, permanent wilder
Straßenverkehr.
Da wir nicht genügend Zeit haben und auch nicht durch Nordindien mit
dem Rad fahren wollen versuchen wir uns 4 Tage lang auf ein Zugticket
nach Delhi zu bewerben. Ja, mittels eines schriftlichen
Bewerbungsformulars. Eine Maßnahme die wohl notwendig ist, weil es
einfach zu viele Menschen für zu wenige Züge gibt. Deswegen sind an
vielen Tagen alle Züge schon besetzt, oder es gibt keinen Platz mehr
für unsere Räder. Letzten Endes müssen wir unsere Räder mit einem
anderen Zug schicken. Zwischendrin machen wir noch einen kleinen
Ausflug nach Darjeeling, in die Berge mit Teeplantagen. Leider ist
das Wetter so diesig, dass wir keinerlei Aussicht auf den Himalaya
haben, dafür ist Darjeeling wieder eine andere kleine Welt in der
die Menschen wieder ganz anders aussehen und in der nepalischer und
tibetischer Einfluss sehr präsent ist.
Dann fahren wir endlich 36 Stunden lang mit dem Zug nach Delhi. Als
wir Nachts ankommen klettern wir über hunderte schlafenden Menschen
in und um den Bahnhof und fahren zu unserem warmshowers- gastgeber.
Es ist grün und sauber und nachts fast nichts los auf den Straßen,
ganz anders als wir es erwartet hätten. Unser Gastgeber hat eine
Wohnung mit Warmwasserdusche und unglaublich, aber wahr, eine
Waschmaschine einer deutschen Firma. Nachdem wir zwei Monate lang mal
wieder unsere Wäsche nur im kalten Wasser ohne nennenswerte
Waschmittel per Hand gewaschen haben, ist unsere Freude über diese
Waschmaschine natürlich riesengroß. Vor dem U-Bahn fahren müssen
wir durch Sicherheitsschleusen wie am Flughafen, Frauen tasten Frauen
nach Waffen ab, Männer die Männer. Es gibt extra Frauenabteile und
Wartebereiche.
Wir verbringen zwei Tage in Delhi, bereiten unserer Räder auf den
Flug vor, sie kauft sich ein Kopftuch für den Iran, wir gehen auf
ein paar Drinks ins Ausgehviertel Delhis und haben viele interessante
Gespräche mit unserem Gastgeber über Indien. So geht unsere Zeit in
„incredible India“ zu Ende.
mit den Kids mal wieder in die Schule fahren |
Living root bridges Meghalya |
Ja, Bhutan war nur 40 km weg. Aber Visa unbezahlbar. |
So schmal war dann die Straße... und dann |
in Delhi |
Die neugierigen Massen... Wir machen übrigens keine Werbung für die Molkerei, sondern das ist ein altes Laufshirt. |